„Hiiiiier bin ich. Madooooox, hieeeeer!“ Ich schreie, bis sich meine Stimmbänder nach außen biegen. Und so viel ist sicher: Mittlerweile weiß so ziemlich jeder im Umkreis, dass ich hier bin – nur einer nicht. Madox schaut immer noch sichtlich verwirrt an mir vorbei. Und das, obwohl er nur einige Meter entfernt von mir steht. Der Grund: Er sieht nicht mehr gut. Dann auf einmal: Er scheint meine Stimme zu orten, schaut in meine Richtung und kommt voller Freude angerannt. Was ein Glück, Frauchen ist doch nicht ohne mich abgehauen – denkt er sich wohl. Übel nehmen? Kann ich ihm das natürlich nicht. Obwohl wir ja alle wissen, wie stur unsere Bulldoggen sein können, und dass Gehorchen nicht immer an erster Stelle steht, bin ich mir sicher, dass dieses Verhalten mittlerweile dem Nachlassen seiner Sinneskräfte geschuldet ist. Meistens jedenfalls. Mein Baby wird alt – Madox wird ein Opi.
Madox hat mittlerweile sein 10. Lebensjahr vollendet. Er sieht zunehmend schlechter, ist ansonsten aber noch richtig fit. Er läuft wie ein kleiner Weltmeister, will durchgehend nur spielen und ist um die Schnauze komischerweise kaum grau geworden bisher. Zum Besserhören habe ich ihn seit etwa einem halben Jahr auf die Hundepfeife konditioniert, denn als kleiner Schreihals will ich nicht in die Geschichte des Ruhrgebiets eingehen. Im Grunde läuft es gerade auch echt gut mit dem kleinen Opi.
Ist es jetzt vielleicht endlich an der Zeit für einen Zweithund? So lange, wie Madox noch so fit ist? Oder ist er zu alt? Immerhin hat er nach seinem Bandscheibenvorfall vor sieben Jahren sogar seine soziale Ader wieder entdeckt. Denn viele kennen unseren Hund nur noch als kleine Krawallbürste, relativ unsozial – und wenn was passiert, ist Madox sowieso Schuld. Aber die anfänglichen Jahre haben ebenso viele leider nicht mehr vor Augen – ja, selbst jene, die unseren Hund schon lange kennen. Diese Zweifel an der sozialen Erziehung unsererseits sind für Hundebesitzer oft ein regelrechter Schlag ins Gesicht. Denn warum der einst so soziale Hunde Madox, den man überall ohne Bedenken hat frei laufen lassen, überhaupt so geworden ist – das erkläre ich gerne. Und ich denke auch, dass es für die Geschichte nicht irrelevant ist. Aber lest selbst …
Ein Blick zurück: Was der Bandscheibenvorfall in Madox auslöste.
Schon als Teenie war für mich klar: Ich will keine Kinder, dafür aber ganz viele Hunde. Ein ganzes Rudel sollte es sein, am besten natürlich das volle Programm, das klassische Leben auf dem Bauernhof. Na ja. Im echten Dasein ist diese Wunschträumerei eines Mädchens bekanntlich leider schlecht vereinbar mit Alltag und Beruf. Als Madox dann im Sommer 2010 zu uns gestoßen ist und 3,5 Jahre später den Bandscheibenvorfall haben sollte, war der Traum vom Hunderudel eh ausgeträumt. Immerhin mussten wir uns ab sofort voll auf die Genesung unseres kleinen Patienten konzentrieren. Der durfte ein Jahr lang – oder sogar länger – aus gesundheitlichen Gründen nicht spielen, er musste wieder laufen lernen und stand noch Monate später sehr wackelig auf den Beinen. Madox selbst, aber auch wir haben sehr viel Kraft und Energie in seine Genesung gesteckt. Es hätte zu diesem Zeitpunkt auch kaum jemand für möglich gehalten, dass Madox überhaupt wieder so fit wird wie heute.
Aber klar. Was passiert mit einem Hund, der nicht mehr mit Artgenossen toben darf und den ich ständig mit Angst in der Stimme herbeirufen muss? Na klar: Er wird unsicher. Aus dem einst sehr gut sozialisierten Madox wurde also eine kleine Schissbuchse. Denken könnt ihr euch, dass er sich seine tierische Panik nicht anmerken ließ. Er ignorierte andere Hunde mit Vorliebe. Bei kleinen oder gleich großen Vierbeinern machte er Ausnahmen – die durften auch mal schnüffeln. Vor allem aber große Gefährten mit aufdringlichen Wesenszügen machten ihm Angst. Dann war sein Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Und dass ein solches Verhalten vielleicht nicht unbedingt die beste Idee ist, wenn man den Kontrahenten gerade mal bis zu den Knien reicht, muss ich an dieser Stelle wohl nicht betonen. Da die meisten Hunde großer Rassen aber meist ein sehr gutmütiges und tolerantes Wesen haben, hatte Madox Glück. Mal wieder.
Es dauerte einige Jahre, bis Madox wieder sicherer im Umgang mit Artgenossen wurde. Hundebegegnungen mussten wir wieder „üben“ – und zwar, ohne selbst Angst davor zu zeigen, dass Madox die Schnauze irgendwann doch zu weit aufreißen und zwischen die Reißzähne eines Hundes geraten würde. Und siehe da: Unser kleiner Angststänkerer wurde wieder sicherer. Dennoch war beziehungsweise ist er ein Eigenbrödler. Jetzt, mit 10 Jahren auf dem Bullibuckel, stellte sich also die Frage: Tue ich meinem Opi einen Gefallen damit, wenn ich einen Mitbewohner auf vier Pfoten ins Haus hole? Immerhin will man als Hundemama ja keineswegs seinen ersten Schatz in Mitleidenschaft ziehen und auch dem „neuen“ Hund ein liebevolles Zuhause bieten, das ihm voll und ganz gerecht wird.
Und manchmal kommt es unverhofft und das Schicksal meint es gut.
Ein bisschen glaube ich schon ans Schicksal. Ihr auch? Meine Freundin Nina ist beim Auslandstierschutz ehrenamtlich tätig – bei der Pfotenhilfe Sauerland. Sie hatte da so eine supersüße Frenchie-Dame in der Vermittlung, die noch dringend ein Zuhause suchte – am besten natürlich für immer.
Sissi – wie sie in Ungarn genannt wurde – ist ihres Zeichens eine Französische Bulldogge, drei Jahre alt und hat uns sofort verzaubert. Sie stammt aus einem Züchterdorf, saß damals noch bei Minus 6 Grad in Ungarn im Tierheim Kecskemét und war schon für den Nikolaustag-Transport am 6.12.2020 angemeldet – aber eben noch nicht vermittelt. Unser Glück. Auf einem ersten Video haben wir schon vermutet, dass sie sich mit Madox verstehen könnte. Auch Nina hatte große Hoffnung. Sissi zeigte sich sehr zurückhaltend und devot. Immerhin ist Madox gerne der Herr im Haus. Ein Kumpel mit großem Ego wäre da sicher nicht gerne gesehen gewesen. Ok, wir machen es und nehmen Sissi sehr gerne auf – zunächst als Pflegestelle. Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch zwei Wochen, die wir auf sie warten mussten. Zeit genug, um sich vorzubereiten. Ich habe mir also Literatur zur Mehrhundehaltung geholt und viel gelesen in den nächsten Tagen. Sissi war zwar erst mal nur auf Pflegestelle bei uns angemeldet, aber ich wollte natürlich alles dafür tun, damit sie für immer bleiben kann.
Hinzu kam, dass Sissi auf den ersten Videos eine sichtliche Fehlhaltung hatte. Sie neigte den Kopf sehr stark nach rechts. Es wurde vermutet, dass eine Gleichgewichtsstörung dahinterstecken könnte. Wir dachten aber eher, dass die Haltung den widrigen Lebensumständen geschuldet sein könnte. Immerhin hat die kleine Bullidame bis dahin drei Jahre lang vermutlich nur Welpen im Akkord geworfen und keine Chance bekommen, ihre Muskulatur gesund auszubilden. Aber die kleine Dame war stark. Sie hatte überlebt, auch die 14-tägige Quarantäne, die sie durchstehen musste, ehe sie überhaupt in einen Zwinger im Tierheim Kecskemét aufgenommen werden durfte. Jetzt hieß es nur noch: Durchhalten! Ein liebevolles Zuhause wartet – wenn nicht bei uns, dann woanders. Denn darum kümmern sich die TierschützerInnen mit Herz und Seele.
Hier seht ihr ein Video von Sissi, entstanden Ende November, als sie noch in Ungarn war:
Und dann sollte unser Nikolausgeschenk endlich angekommen.
Wir waren sooo aufgeregt! Leider verspätete der Transporter aus Ungarn sich etwas, vor allem aber ein ganz großes LEIDER für die TierschützerInnen. Denn, was die fleißigen Mädels und Jungs da leisten, ist wirklich beeindruckend. Sie machen eine ganz tolle Arbeit und sind für die Transporte von Ungarn aus den Tötungsstationen und Tierheimen von donnerstags in der Früh an den ganzen Tag auf den Beinen bzw. im Auto, bis sie sonntags mit vielen Hunden den Schutzhof erreichen, die nun auch endlich ein glückliches und geschütztes Leben führen dürfen. Meine Freundin hat dazu einen sehr lesenswerten Bericht verfasst (hier lang und Bericht lesen). Jedenfalls erreichte der Transporter gegen Mitternacht (geplant war 21-22 Uhr) den Schutzhof im Sauerland. Nebel lag über den Straßen, es war ar***kalt und insgesamt mussten noch sehr viele Hunde an ihre Adoptanten übergeben werden.
Jeder Hund wurde mit Papieren und einem Geschirr in die Arme der aufgeregten Menschen gereicht. Allerdings durfte wegen der Corona-Auflagen immer nur eine gewisse Anzahl an Leuten auf den Hof. Nach der 20-stündigen Fahrt hatten die TierschützerInnen es also noch lang nicht geschafft. Bis tief in die Nacht hinein sollten sie noch Hunde übergeben.
Sissi war nun aber bei uns und wir machten uns durch den tiefsten Nebel auf den Rückweg ins Ruhrgebiet. Dort hieß es dann mitten in der Nacht: Rudelzusammenführung. Und wie Madox das empfunden hat, erzählt er euch am besten selbst 😉 Auch Marie – wie Sissi heute heißt – kommt noch mal zu Laut.